AZ3W-Veranstaltung am 7.12.00 im Weltladen Osterstr. 171, Hamburg

Referent: Heiko Wegmann, iz3w Freiburg
(vorläufige schriftliche Fassung des gehaltenen Referates:)

Droht ein MAI durch die Hintertür? 
Die WTO als Forum für neue internationale Investitionsabkommen

1998 scheiterten in der OECD Verhandlungen über ein Multilaterales Investitionsabkommen MAI (Multilateral Agreement on Investment). Dieses Abkommen sollte Investoren sowohl neuen Zugang zu Märkten verschaffen als auch die getätigten Investitionen schützen. Exklusiv zwischen den mächtigen Industriestaaten ausgehandelt, sollten dem MAI später weitere Staaten beitreten können. Das Scheitern lag einerseits an Differenzen zwischen den beteiligten Staaten, andererseits aber auch auf an weltweit laut werdenden Protesten. Diese Proteste richteten sich gegen eine ganze Reihe von Regelungen, die aus entwicklungspolitischer, ökologischer, sozialer und finanzpolitischer Sicht als problematisch angesehen wurden. 

Grundgedanken des MAI

Ausgangspunkt des MAI war es, die Freiheit von Investoren über alles zu stellen. Dazu gehörte die Beseitigung 

  • entwicklungspolitischer Steuerungsmittel wie Kapitalverkehrskontrollen, Auflagen wie der verpflichtenden Nutzung eines Anteils an lokalen Vorprodukten, 
  • von Auflagen über die legale Form von Investitionen und Beschränkungen der Inländerbehandlung, z.B. bei der öffentlichen Auftragsvergabe.
  • Neben den "eigentlichen" Direktinvestitionen sollte es auch reine Finanztitel (Portfolio-Investitionen) einschliessen. 
  • Den Unternehmen sollte im MAI das Recht auf Entschädigung bei direkter oder schleichender Enteignung sowie bei Verlusten durch Aufstände und Bürgerkriege eingeräumt werden. Die Frage der Enteignung ist von größter Brisanz. So sollten Steuern oder Gesetze als schleichende Enteignung gelten, wenn sie sich negativ auf Investitionen auswirken. Dieser Fall könnte schon mit der Einführung von Mindestlöhnen oder Sicherheitsstandards eintreten. Zur Durchsetzung dieser Rechte sollten Unternehmen eigenständig Klage gegen Staaten bei einer internationalen Schiedsgerichtsbarkeit erheben können. 

Ein wesentliches Erfolgsmoment der Anti-MAI-Kampagne war die Skandalisierung des geheimen Charakters der potentiell die Souveränität der Staaten bedrohenden OECD-Verhandlungen. Im Sinne einer sogenannten Dracula-Strategie sollte das Monster – einmal ans Tageslicht gebracht – zu Staub zerfallen. Die beiden OECD-Mitarbeiter Sauvé und Wilkie konstatieren, dass auch bei künftigen Verhandlungen zunehmend mit internet-basiertem Aktivismus von NGOs gerechnet werden müsse und dass das Scheitern die Entwicklungsländer in ihrem Widerstand gegen ein Investitionsabkommen (leider) bestärkt habe. Sie folgern daraus, dass der Versuch, ein großes Abkommen zu installieren, zu viel Angriffsfläche biete und derzeitig keine großen Aussichten auf Erfolg habe. Daher biete es sich an, bereits bestehende Verträge auszubauen. In der WTO gebe es mehrere relevante Abkommen (siehe Übersicht im Anhang), von denen das Allgemeine Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen GATS das größte Potential für die Erweiterung bestehender investitionesbezogener Regeln und ein fortschreitend höheres Niveau an Investitionsschutz und –liberalisierung habe. Seit Anfang 2000 finden am Sitz der WTO in Genf im Rahmen des GATS Verhandlungen zur weiteren Liberalisierung des Welthandels mit Dienstleistungen statt. Ein entscheidender Aspekt des GATS ist die extrem breite Definition des internationalen Handels mit Dienstleistungen. Nach Artikel I wird darunter auch die Erbringung von Dienstleistungen "mittels kommerzieller Präsenz im Hoheitsgebiet eines anderen Mitglieds" verstanden. Das GATS ist mit anderen Worten auch ein internationales Abkommen zur fortschreitenden Öffnung der Länder für ausländische Direktinvestitionen (FDI). Es unterliegt dem Streitschlichtungsmechanismus der WTO und damit einer Art internationaler Gerichtsbarkeit, wie sie ja auch im MAI vorgesehen wurde. Ein zentraler Unterschied ist, dass dort bislang nur Staaten und nicht Unternehmen klagen können. Den beiden OECD-Mitarbeitern bereitet daher die Frage Kopfzerbrechen, wie man privaten Firmen das Recht auf eigenen Zugang zum Streitschlichtungsverfahren einräumen und gleichzeitig NGOs die Klagemöglichkeit verweigern kann.

Exkurs: Entwicklung der ausländischen Direktinvestitionen

Über 60% aller FDI entfallen auf den Dienstleistungssektor. Dies gibt einen Hinweis darauf, wie prominent das Interesse an Investitionsschutzregeln innerhalb des GATS ist. 

Der Wert der weltweiten FDI hat sich enorm gesteigert, zwischen 1982 (37 Mrd. US$) und 1999 (865 Mrd. US$) auf das 15fache. Sie erfolgen zu vier Fünfteln in Form von Fusionen und Übernahmen und nicht etwa durch Investitionen auf der "grünen Wiese". Eine große Bedeutung haben dabei Privatisierungen ehemaliger Staatsunternehmen. Die Mehrheit der 50 größten Privatisierungen zwischen 1987 und 1999 fanden in Entwicklungsländern statt. In den 90er Jahren kamen durchschnittlich etwa 80% aller FDI-Ströme aus den OECD-Staaten, 65% flossen dorthin. Zwischen 1990 und 1997 erhöhten sich die FDI in den Entwicklungsländern von 34 auf 149 Mrd. US$ (1985: 10 Mrd.$), was einer Erhöhung ihres Anteils an den Gesamt-FDI von 17 auf 37% entsprach. Bis 1999 stiegen sie weiter auf 208 Mrd.$, ihr Anteil sank dabei jedoch auf 24,6 % ab. Auffallend ist die starke Konzentration der Zuflüsse. Nach Angaben der Weltbank flossen zwei Drittel dieser FDI in den 90er Jahren in nur zehn Länder und dabei vor allem in die Volksrepublik China. Regional gesehen standen Süd-, Ost- und Südostasien weit an der Spitze, gefolgt von Lateinamerika (vor allem Brasilien und Mexiko), während der afrikanische Kontinent weitestgehend von ausländischen Direktinvestitionen ausgeschlossen blieb. Eine gewisse Ausnahme stellte dort lediglich Südafrika dar. 

Privatisierungen als Motor von FDI

Die Verhandlungen in der WTO und im GATS über Marktzugang für private Investoren und Investitionsschutz sind im Kontext weltweit bereits weit fortgeschrittener Prozesse der Deregulierung und Privatisierung zu sehen. Eine wesentliche Rolle spielt dabei der Internationale Währungsfonds (IWF), dessen Stützungskredite in der Regel an massive wirtschaftspolitische Auflagen gebunden sind. Nach Ansicht des IWF ist der freie Markt der einzige Garant für ökonomische Effektivität und Wohlstandsproduktion. Die Erlöse aus den Privatisierungen dienten letztlich auch der Wiedererlangung der staatlichen Handlungsfähigkeit, in dem die Staatshaushalte saniert würden. Dem Staat komme lediglich die Aufgabe der Bereitstellung von günstigen Rahmenbedingungen zu, z.B. durch die Förderung einer stabilen Währung. Mit der Propagierung des freien Wettbewerbs als Anti-Pol maroder staatlicher Monopole werden jedoch trügerische Hoffnungen geweckt. Für die Länder der Dritten Welt heißt dies vielmehr, dass sich TNCs und örtliche Eliten im Rahmen von Privatisierungen die Unternehmen mit der lukrativsten Perspektive z.T. zu Spottpreisen einverleiben und sich soziale Grunddienste häufig verteuern. Die auf dem Weltmarkt agierenden TNCs befinden sich in einem Prozess erheblicher und rasant zunehmender Konzentration. Tendenziell werden sich in kapital- und technologieintensiven Sparten nur wenige global players halten können, die über erhebliche Marktmacht verfügen. Die hohe Mobilität des Kapitals erhöht weiter deren Möglichkeit, die einzelnen Staaten zunehmend der Standortkonkurrenz auszusetzen und sich so Vorteile anzueignen. Dies hat nichts mit "funktionierenden Märkten" zu tun. Die Möglichkeiten, TNCs durch politische Steuerung Auflagen im öffentlichen Interesse zu machen, schwinden gleichzeitig auch wegen der seit Jahren extrem zunehmenden Anzahl bilateraler Investitionsschutzabkommen (BITs). 

Mehr Wettbewerb = Fortschritt?

Die Übernahme von regionalen Unternehmen stellt häufig einen Brückenkopf für den Markteintritt der TNCs dar, indem bestehende Vertriebsstrukturen, Kontakte zu Behörden und sonstiges Spezialwissen genutzt werden. Für Afrika wird konstatiert, dass dabei die Liquidation bestehender Produktionsstrukturen das Maß an produktiven Direktinvestitionen übersteigt. Somit befinde sich Afrika in einer Phase nachhaltiger Deindustrialisierung. Darüber hinaus können sich FDI auch noch negativ auf die Zahlungsbilanz auswirken, z.B. wenn ein westlicher Konzern in Angola zur Produktivitätssteigerung Investitionsgüter oder zum Absatz Konsumgüter importiert. Wenn er den Firmenkauf durch Anleihen auf dem regionalen Kapitalmarkt refinanziert, wird zudem das Kreditangebot für dortige Firmen verknappt. Die UNCTAD kommt zu dem Ergebnis, daß die verstärkten Aktivitäten der TNCs in Lateinamerika in den 90er Jahren zwar zunehmend auf den Export ausgerichtet seien. Dennoch hätten sie zu Leistungsbilanzdefiziten geführt. In Brasilien – der größten Ökonomie Lateinamerikas - hielten zahlreiche inländische Unternehmen den Handelsliberalisierungen der 90er Jahre nicht stand und mussten schließen, während die Importe stark anstiegen. Geschäftsübernahmen und Fusionen schwollen an. Im Endeffekt fand also ein Ausverkauf der Produktions- und Dienstleistungsunternehmen statt, der zusätzlich von einer grassierenden Außenverschuldung begleitet wurde. Als Schutz vor dem Abzug liquider Finanzmittel in das Ausland ist schliesslich ein hohes Zinsniveau mit Risikoaufschlag nötig, welches inländische Investitionen bremst. Besonders investorenfreundlich verhält sich die Regierung Argentiniens. Mittlerweile sind dort knapp die Hälfte der 500 größten Unternehmen in ausländischem Besitz. Es besteht die Gefahr, dass TNCs sich auf lukrative Unternehmungen konzentrieren, während die Versorgung der Bevölkerung bzw. von nicht zahlungskräftigen Teilen der Bevölkerung mit nicht profitablen, aber notwendigen Dienstleistungen verkümmert oder beim Staat verbleibt. Dies kann sich z.B. so darstellen, dass sich Logistikunternehmen auf die profitable Beförderung von Briefen innerhalb von Ballungsgebieten konzentrieren und damit staatliche Konkurrenten unter Druck setzen, die auch entlegene Gebiete abdecken. Die Einnahmen aus Privatisierungen dienen in erster Linie den Interessen internationaler Gläubiger, dem Staat gehen nicht nur Einnahmequellen und sozialpolitische Steuerungsmöglichkeiten verloren. Die kommerzielle Expansion ist im Kontext der Nord-Süd-Beziehungen eine Einbahnstraße: Dem Niedergang "einheimischer" Firmen in der verschärften Konkurrenz stehen keine gleichartigen Expansionschancen im Norden gegenüber. Als Heilmittel für die Probleme der abhängigen Ökonomien bleibt demnach nur die Verschärfung der Abhängigkeit. 

Auffällig ist, das es die interessierten Staaten kategorisch ablehnen, sich neben dem Katalog der Rechte auch über Pflichten für Konzerne zu unterhalten. Wenn im Rahmen der WTO von Wettbewerbspolitik die Rede ist, dann sind nicht restriktive legale und illegale Praktiken (manipulierte interne Verrechnungspreise zur Steuerersparnis, Preisabsprachen, Unterdrückung von Konkurrenz) und Megafusionen der TNCs gemeint, sondern nur die Öffnung staatlich kontrollierter Märkte. 

Investitionen als Thema in WTO und GATS

Für die Globalisierungsstrategien der TNCs bieten sich neue Möglichkeiten bei der Nutzung unregulierter Produktionsstandorte, neuer Absatzmärkte und dem Einkauf von Firmen. Der International Chamber of Commerce (ICC-World Business Organization) forderte die in der Welt wirtschaftlich führenden G7-Staaten im Juli 2000 daher dazu auf, den Prozess zur Etablierung eines Regelwerks zu Investitionen in der WTO voranzutreiben. Dies solle auf hohem Niveau die Bedingungen für Investitionen liberalisieren und diese schützen. Der 1999 privatwirtschaftlich organisierte World Services Congress in Atlanta konstatierte, dass Investitionen derzeitig ebenso wie der Handel die treibende Kraft der weltwirtschaftlichen Integration seien. Die WTO solle daher die Liberalisierung von Investitionen in den GATS-Verhandlungen kraftvoll angehen. 

Die EU untermauerte derweil im Oktober 2000 ihre Priorität für ein übergreifendes WTO-Investitionsabkommen, das Waren und Dienstleistungen einschliesst. Unter Berufung auf eine Weltbank-Studie erklärte sie, dass Entwicklungsländer ein starkes Interesse daran hätten, multilaterale Verpflichtungen zu Investitionsschutz und –liberalisierungen einzugehen. Das GATS-Modell progressiver Liberalisierung im Rahmen eines Regelwerks von Prinzipien, die für sektor-spezifische Verpflichtungen gelten, könne als hilfreicher Präzedenzfall dienen. Unabhängig von der Etablierung zusätzlicher Regeln zum Thema Investitionen im GATS oder in der WTO richten sich jedoch die konkreten Forderungen der EU nach Liberalisierungsverpflichtungen anderer Staaten immer auch auf Investitionen. So wird beispielsweise im Entwurf der EU-Kommission zu Finanzdienstleistungen vom Mai 2000 folgendes gefordert: "Das Hauptziel ist es, in Drittländern die Möglichkeit zum Aufbau, der Kontrolle und der Erweiterung kommerzieller Aktivitäten zu erlangen. Obergrenzen für ausländische Beteiligungen sollten daher mindestens 51% erlauben. Investoren sollen die Möglichkeit zur freien Wahl der legalen Form haben (z.B. Tochtergesellschaft, joint-venture, Filiale ...)." Dem Papier sind Forderungen gegenüber einzelnen Ländern angehängt, die in einem EU-internen Abstimmungsprozess noch erweitert werden sollen. Darin finden sich Forderungen, wie die nach Beseitigung von Beschränkungen für ausländische Unternehmen bei der öffentlichen Beschaffung in Australien oder der Erlaubnis, in Indonesien lokale börsennotierte Banken zu 100% kaufen zu können.

Kenia wehrt sich entschieden gegen ein Investitionsabkommen in der WTO. In Abkommen wie dem GATS seien Entwicklungsländer bereits größere Verpflichtungen eingegangen. Die Industrieländer wären nun auf totale Freiheit für Multinationale Konzerne aus. Kenia denke aber nicht daran, Verpflichtungen einzugehen, die das Recht von Regierungen beschneiden, Investitionen in für die Entwicklung wichtige Bereiche zu lenken. Auch würden Zugeständnisse nicht unbedingt höhere Investitionszuflüsse in Entwicklungsländer garantieren. Investoren würden unveränderlich von Ländern angezogen, in denen sie "die meisten Vorteile ernten" könnten und nicht von solchen, die Investitionen am nötigsten hätten. Die in verschiedenen Dokumenten der EU postulierte Auffassung, ein Investitionsabkommen sei im Interesse der Entwicklungsländer trifft also nicht bei allen auf ungeteilte Zustimmung.

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Kritikpunkte

Das GATS ist ein kompliziertes Vertragswerk, dessen Einzelheiten hier nicht dargestellt werden sollen. Im folgenden werden vielmehr einige zentrale Problematiken vorgestellt, die sich durch die Investitionsliberalisierung unter dem Vorzeichen neoliberaler Globalisierung ergeben.

  • Die Liberalisierung des Dienstleistungshandels im GATS steht im engen Zusammenhang mit weltweit vor sich gehenden Prozessen der Privatisierung staatlicher Aufgaben und Unternehmen. TNCs erhalten Zugang zu vorher versperrten Anlagemöglichkeiten, öffentliche Dienste wie Bildung, Gesundheit, Wasserversorgung und Telekommunikation werden zu privaten Märkten. Dadurch wird zwar teilweise durchaus eine Modernisierung der Infrastruktur erreicht. Sie kommt aber vor allem denen zugute, die sie sich dann noch leisten können. Der Vorrang von Profitinteressen führt dazu, dass ländliche Bereiche für Investitionen uninteressant und vernachlässigt werden, weil eine Quersubventionierung durch Einnahmen aus Ballungsgebieten sozial, aber nicht (unmittelbar) ökonomisch sinnvoll ist. Ausserdem sind Privatisierungen und Marktöffnungen häufig mit Massenentlassungen sowohl bei nicht konkurrenzfähigen als auch bei tatsächlich modernisierten Unternehmen verbunden. Da soziale Systeme in Entwicklungsländern meist nur schwach ausgeprägt sind, bedeutet dies die Zunahme an Armut. Ein Armutsschock droht Millionen von Beschäftigten in China, wenn dies der WTO beitritt und die dafür erforderlichen Marktöffnungen umsetzt. Unter den gegebenen gesellschaftlichen und weltwirtschaftlichen Bedingungen ist bei einer Fortschreibung der Liberalisierung also mit zunehmender sozialer Polarisierung zu rechnen. Die Durchkapitalisierung der Gesellschaft geht mit der Entsolidarisierung einher, zahlungskräftige Kaufkraft wird zum zentralen Medium der individuellen Reproduktion. 
  • Der ansteigende internationale Konkurrenzdruck und Standortwettbewerb fördert den Abbau von ArbeitnehmerInnenrechten und Umweltstandards, weil so Kosten der Unternehmen zu Lasten der Gesellschaft gesenkt werden können. Dieser Prozess trägt eine Abwärtsdynamik in sich, weil jede Lohnsenkung und Arbeitszeitflexibilisierung ihrerseits den Druck weiter erhöht.
  • Die Verwirklichung wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Grundrechte in der Welt rückt mit der zunehmenden Dominanz von Märkten in noch weitere Ferne als dies derzeitig der Fall ist. Das GATS stellt hier durch die Erweiterung der konkreten Liberalisierungsverpflichtungen zu Marktöffnung und Inländerbehandlung eine Bedrohung dar.
  • Der Ausbau von allgemein gültigen Regeln für Subventionen, öffentliches Beschaffungswesen und innerstaatliche Regulierung kollidiert mit gesellschaftlichen Interessen. So würden verbindlichere Formeln darüber, welche staatlichen Maßnahmen als "den Handel am wenigsten störend" zu gelten haben, öffentliche Interessen und Rechte zugunsten ökonomischer Aktivitäten in Frage stellen. Die Entscheidung über die Vereinbarkeit von Umweltstandards bei Mülldeponien mit dem GATS würde im Streitfall den Handelsexperten der WTO überlassen werden. Werden das öffentliche Beschaffungswesen geöffnet und Subventionen verboten oder auch auf TNCs aus dem Norden ausgedehnt, werden Ungleiche gleich behandelt. Viele der TNCs, die auf Gleichbehandlung mit konkurrierenden Unternehmen aus dem Süden drängen, sind selbst erst mit öffentlicher Unterstützung in Form von Subventionen oder Monopolstellungen groß geworden. Der sehr stark in Lateinamerika expandierende spanische Telekommunikationskonzern Telefónica hat auf seinem inländischen Markt sogar noch immer eine durch Gesetze geschützte Stellung. Mit Monopolprofiten aus Spanien werden also brasilianische Telefon- und Kabelnetze gekauft. Daran zeigt sich sehr klar die den Verhandlungen innewohnende Logik. Die Klassifizierung von Schutzmaßnahmen als wettbewerbsfeindlich könnte geradezu zum Verbot notwendiger entwicklungspolitischer Steuerung führen. Die Verschärfung von Regeln in allen drei Bereichen bedroht insbesondere auch die Aufrechterhaltung öffentlicher Dienstleistungen. Die Auflage, innerstaatliche Regulierungen müssten am wenigsten handelsstörend sein, könnte Marktöffnungen bei Bildung und Gesundheit den Weg brechen. Die Zunahme privater Akteure und deren Konzentration auf lukrative Geschäftsfelder würde das Prinzip solidarischer Umlagefinanzierung weiter aushöhlen und damit die gesellschaftliche Spaltung fördern. In diesem Zusammenhang ist auch Artikel I.3c von Bedeutung, der definiert, welche staatlichen Dienstleistungen vom GATS ausgenommen sind. Im Rahmen der Revision des Vertrags wurde vorgeschlagen, dass nur völlig kostenlose Dienstleistungen als nicht zu kommerziellen Zwecken erbracht gelten. So weit also in Krankenhäusern oder Schulen Gebühren erhoben werden (Mischfinanzierung), müssten sie nach diesem Vorschlag dem Kommerz geöffnet werden. 
  • Hinter der weltweiten Durchsetzung der Interessen im Inland ansässiger Konzerne durch Regierungen steht die Erwartung von Transfereinkommen (Gewinnrückflüsse, Lizenzgebühren und Schuldendienst) und Exportmöglichkeiten, die den eigenen Binnenmarkt stabilisieren. Dennoch wird nur selten auf den Hinweis verzichtet, dass eine stärkere Einbindung in den Weltmarkt allen Beteiligten nur Vorteile bringe. Der Weltmarkt ist jedoch strukturiert durch einen rücksichtslosen Konkurrenzkampf der ökonomischen Akteure. Dies drückt sich nicht zuletzt in der militarisierten Rede von der Eroberung von Märkten aus. Die "freie Marktwirtschaft" baut immer schon auf der Ungleichheit der Akteure auf. In diesem Zusammenhang geht es der Kritik im Grunde nicht darum, ob es sich um inländische oder ausländische Unternehmen handelt, die einen Markt unter sich aufteilen oder konkurrieren. Nur wird die Ungleichheit auf dieser Ebene besonders deutlich: Von den hundert größten TNCs der Welt kommen 99 aus OECD-Ländern. 
  • Für die führenden Konzerne wird die Eroberung von Weltmarktanteilen zunehmend zum entscheidenden Erfolgskriterium. Steigende Investitionsmöglichkeiten, begleitet vom Ringen um kaufkräftige Nachfrage auf fremden Märkten, stellen nur einen Aspekt davon dar. Die Integration globaler Netzwerke von eigenen Produktionsstandorten und Zulieferern verleiht ihnen wachsenden gesellschaftlichen Einfluss. Die Verschärfung der Standortkonkurrenz dient letztendlich der Einforderung hoher gesellschaftlicher Vorleistungen (Infrastruktur, Bildungsniveau, Geldwertstabilität etc.), der strukturellen Senkung der Kosten der Arbeitskraft und deren Flexibilisierung. Weniger mobile Gruppen in der Weltwirtschaft entfalten wenig Droh- und Verhandlungspotential gegenüber dieser Tendenz. Der auf Steuern angewiesene Staat setzt in diesem Prozess immer weniger auf Einnahmen aus direkten Unternehmenssteuern, dafür aber zunehmend auf die durch Investitionen erwarteten Arbeitseinkünfte und Produktivitätssteigerungen.
  • Globalisierung ist keine Folge naturwüchsig-ökonomischer Sachzwänge, sondern wesentlich ein politischer Prozeß. Das Politische ist strukturell mit der Ökonomie verbunden; beide sind einander nicht als dichotom gegenüber zu stellen (vgl. Röttger 1997). Die EU als größter Wirtschaftsraum der Welt folgt keineswegs rein passiv den Sachzwängen des Weltmarkts oder dem Diktat von Konzernen, sondern gestaltet diese Politik aktiv. An ihrer strategischen Ausrichtung auf überlegene Wettbewerbsfähigkeit im Weltmaßstab ändert sich auch unter Beteiligung von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) realistischerweise nichts. Selbst die von den deregulierten Finanzmärkten ausgelöste Asienkrise machte die EU-Kommission nicht nachdenklich: "Angesichts des ökonomischen Drucks, dem die internationale Wirtschaft gerade unterliegt, besteht das Risiko eines Zurückrutschens. Wie die finanzielle und ökonomische Krise gezeigt hat, ist mehr – und speziell besser ausgerichtete – Liberalisierung nötig und nicht weniger, wenn ökonomisches Wachstum wiederhergestellt werden soll."

Übersicht: investitionsrelevante Aspekte der  
 

Welthandelsorganisation WTO (OMC)

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  • WGTI = Working Group on Trade and Investment; besteht seit 1996, Arbeitsgruppe ohne Verhandlungsmandat, aber mit Aufgabe zur Bildungsarbeit (die freilich aus der Sicht einiger Beteiligter dazu dienen soll, Verhandlungen über ein MIA (Multilateral Investment Agreement) in der WTO den Weg zu ebnen) 
  • Members agreed to continue the process of study and analysis that the WG has undertaken since 1996; no consensus is yet emerging to move beyond this phase, though industrialised countries, particularly the EU and Japan, are still pushing to establish multilateral WTO rules governing foreign investment. Efforts to move in this direction continue to be opposed by many developing country Members, particularly India, Pakistan, Egypt and Malaysia. These Members argue that the many bilateral investment treaties they have already signed are working sufficiently well, and that a WTO agreement on investment would limit the ability of developing countries to attract proper kinds of investment. The EU responds that an investment agreement would promote investor confidence in all WTO Member countries and contribute to development. (aus: BRIDGES Weekly Trade News Digest, http://www.ictsd.org)
  • GATT = Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen (Warenhandel), enthält Investitionsregeln in den Vertragsteilen zu
  • TRIMs = Trade Related Investment Measures; verbietet mengenmäßige Beschränkungen beim Import und Export von Waren sowie Auflagen für ausländische Unternehmen, einen bestimmten Anteil an inländischen Vorprodukten zu kaufen; Übergangsfristen zur Implementierung für Entwicklungsländer sind 2000 ausgelaufen, mehrere Länder verhandeln nach, weil sie dazu nicht in der Lage sind; es laufen auch Klagen bei der WTO wegen Nichteinhaltung (siehe unten)
  • ASCM = Agreement on Subsidies and Countervailing Measures; verbietet bestimmte staatliche Subventionen (z.B. Steuergeschenke, Exportbeihilfen oder –kredite), wenn sie den internationalen Handel "verzerrende" Wirkungen haben und setzt Regeln für Gegenmaßnahmen von betroffenen Ländern; Subventionen sind als Anreize ein Mittel der Investitionssteuerung 
  • TRIPs = Trade Related Intellectual Property Rights, Schutz geistigen Eigentums; exklusive Rechte auf Blaupausen, gentechnische oder pharmazeutische Patente sowie Copyrights auf Software stellen wesentliche Aspekte von Investitionsschutz (Monopolrechte) dar.
  • GATS = General Agreement on Trade in Services, Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen; jenseits des Handels im eigentlichen Sinne sind Investitionen ein wesentlicher Aspekt des Abkommens; Mischung aus allgemeinen Regeln (z.B. Meistbegünstigungsklausel) und individuellen Listen von Liberalisierungsverpflichtungen der einzelnen Länder sowie plurilateralen Anhängen zu Finanzdienstleistungen und Telekommunikation. In die Listen können Verpflichtungen für "commercial presence" je nach Sektoren und jeweils für Marktzugang und Inländerbehandlung aufgenommen werden. Das GATS enthält weiter Regeln, die im Moment verhandelt werden, zu:
  • Innerstaatlicher Regulierung und Wettbewerbspolitik
  • Öffentlichem Beschaffungswesen
  • Subventionen
  • DSB = Dispute Settlement Body; Organ zur Streitschlichtung mit zwei Instanzen (Panels und Appellate Body), das im Streitfall auf der Basis der Verträge Recht spricht; dieser Gerichtsbarkeit unterliegen alle aufgeführten Abkommen.

TRIMs 

Under the TRIMs Agreement, developing countries are required to phase out trade-restrictive restraints on foreign investment -- such as local content requirements -- by 1 January 2000, but nine Members have requested extensions on this deadline, mostly over domestic investment schemes in their auto industries. The requesting countries are the Philippines, Colombia, Mexico, Romania, Argentina, Pakistan, Malaysia, Chile and Thailand. Despite US and EC views on the TRIMs proposal, the two Members are still pursuing panel requests at the Dispute Settlement Body (DSB) against the Philippines and India, respectively. At the 17 November DSB, Members agreed to establish panels to rule on the US complaint against the Philippines over its TRIMs in the automotive sector and on an EC dispute against India over conditions for the granting of import licenses for automobile industry products 

Also heard at the DSB was a US request to investigate the compliance of the Philippines' Motor Vehicle Development Program (MVDP) with the WTO Trade Related Investment Measures (TRIMs) Agreement. The US contends that:

- the MVDP provides that motor vehicle manufacturers located in the Philippines who meet certain requirements are entitled to import parts, components and finished vehicles at a preferential tariff rate; and

- that foreign manufacturers' import licenses for parts, components and finished vehicles are conditioned on compliance with these requirements. Among the requirements referred to by the US are the requirement that manufacturers use parts and components produced in the Philippines and that they earn a percentage of the foreign exchange needed to import those parts and components by exporting finished vehicles.

A similar request was made by the EU against India.

Both India and the Philippines vigorously objected to the panel requests on the grounds that both have requested separate TRIMs implementation extensions and are presently awaiting decisions from the WTO Council on Trade in Goods. Article 4 of the TRIMs Agreement allows developing countries to deviate temporarily from TRIMs provisions to compensate for injurious Balance of Payments deficits, while Article 5 allows developing countries to request implementation extensions for financial and development purposes. India and the Philippines argue that that by requesting these investigations, the EU and the US are jeopardising their rights under Articles 4 and 5. Under Article 6 of the Dispute Settlement Understanding, the US and EU are entitled to resubmit their requests at the next DSB meeting 17 November at which point their panel requests will be automatically accepted.

(aus: BRIDGES Weekly Trade News Digest, http://www.ictsd.org)

V. Barth, 26.03.2001